Hades und Sibylle
Hades
Im weiten vielfach lasierten Bildraum aus Flecken, Flächen, Prismen und Durchblicken erhebt sich im rechten oberen Quadranten die dunkle Silhouette des Fürsten der Unterwelt: eine Porträtbüste im Profil. Blicklos ist sie in den Bildraum hinein gewendet und farblich so isoliert, dass sie ihren Umraum überragt, räumlich aus ihm hervortritt und ganz dominant zum beherrschenden Element wird. Ein König ohne Thron, ohne Attribute, ohne Dienerschaft.
Die bildbeherrschende Macht dieses Profils liegt in der Maltechnik begründet: die Profilfläche ist gegenüber dem Bildraum klar konturiert, formal eindeutig definiert und farblich geschlossen.
Der übrige Bildraum mit seinen zahlreichen Farbnuancen neigt sich diesem Profil zu und ordnet sich unter.
Mittels der formalen Spannung zwischen einem Farbschichtengeflecht und einer schweren Form im oberen rechten Bildteil gewinnt ‚Hades‘ Statik und Ausgewogenheit.
Sibylle
Die Verwandtschaft zu ‚Hades‘ ist im Diptychon augenfällig: auch hier findet sich rechts über der Mitte erhoben eine Silhouette, in hellen Farbwolken ausgestaltet, die das Bild thematisch festlegt.
Ähnlich wie bei ‚Hades‘ ist die Bildfläche in zahlreiche über- und untereinander liegende Farbbereiche aufgebrochen und durch diese gleichzeitig räumlich verspannt. Die Büste der Sibylle schafft räumliche Klarheit über das Oben und Unten, Vorne und Hinten, ohne jedoch selbst dazu zu gehören.
Wenn das Profil des Hades eindeutig das Bildgeschehen dominiert, weist Sibylle einen Weg durch die Farbstaffelungen, sie öffnet und weitet in die Tiefe, lässt Bewegung zu und tritt in Dialog mit ihrer Umgebung. Sie schwebt in farbiger Leichtigkeit auf, so transparent, dass sie gleich darauf wieder verschwinden könnte.
Sibylle ist ein Hauch von dargestellter Zeit gegenüber der Dunkelschwere der Zeitlosigkeit eines Hades.
Dr. K. Keßler 2017