NORSKE VERDENER 2016 Triptychon je Bild 140 x 100 cm
"O selige Natur! Verloren ins weite Blau, blick' ich oft hinauf an den Äther und hinein ins heilige Meer, und mir ist, als öffnet ein verwandter Geist mir die Arme, als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf ins Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen. Eins zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden."
Friedrich Hölderlin
Die Landschaft Norwegens im Blick des Künstlers
Eine allgemein gültige Beschreibung der norwegischen Landschaft ist per se nicht möglich. Erstreckt sich doch das Land vom südlichsten Punkt Lindesnes über 1700 km bis zum Nordkap im Norden. 2518 km muss man mit dem Auto zurücklegen, will man vom Süden in den Norden gelangen. Und doch hat diese Landschaft auch eine gemeinsame Prägung: Schöpfer der Landschaftsformen war die letzte Eiszeit mit einem das Land überdeckenden Eispanzer von 1500 bis 3000 Metern Dicke. Mit dem Abschmelzen dieser Eismassen formte sich die Landschaft und trat zutage mit tiefen, weit ins Land hineinragenden Fjorden, unzähligen kleinen und großen Inseln und zahllosen Schären. Weiter im Land sind die vielen Seen Zeugen der eiszeitlichen Schöpferkraft wie auch die Täler und Gletscher. Auch die Gebirgskette, die das Land vom Süden nach Norden durchzieht, ist mit ihren geschliffenen, abgerundeten Formen vom Eis geformt.
Wir begeben uns mit Trudy Wiebus in diese archaische Landschaft und erleben mit ihr das Licht des Nordens mit seinen dramatischen Kontrasten: Die lichtdurchfluteten, blonden Sommernächte und die Finsternis im Winter, die die flammenden Herbstfarben schluckt und nur Grau- und Schwarztöne zulässt.
Die norwegische Natur ist nicht gastmild, es ist keine liebliche, den Menschen willkommen heißende Landschaft. Sie fordert mit ihrer elementaren, erschreckenden Schönheit, ihrer Wildnis den Menschen heraus. Das Gefühl der Einsamkeit kommt schnell auf in einer uns feindlichen Welt. „In diesen nordischen Gefilden hat die Schönheit der Natur die Hauptrolle inne, während die Kinder der Natur, die Menschen, nur eine untergeordnete Rolle spielen“, sagt der norwegische Maler Peder Balke, der wegweisende Bilder der norwegischen Landschaft im neunzehnten Jahrhundert schuf. Schon bei Balke ist die künstlerische Darstellung der nordischen Natur nicht nur abbildhaft, die Komposition ist frei.
Natur und Licht werden – seit Monet – in der Malerei zu einem Ereignis des Auges.
Dies gilt auch für die in Norwegen entstandenen Bilder von Trudy Wiebus. Sie sind bestimmt vom Licht und von der Dynamik der norwegischen Natur: dem Spannungsverhältnis zwischen Gebirge und Fjord, zwischen dem Horizontalen und dem Vertikalen wie auch den Farben des Nordens – schwarz-weiß in allen Nuancen, blau und grün, weiß und grau bis zum lila in allen Schattierungen.
Wir können ihre Bilder als abstrahierte Landschaften verstehen. Vorder- und Hintergrund in der Natur verschwinden und fügen sich zu einem zusammenhängenden Bild. Die horizontale Unterteilung spiegelt die Trennung zwischen Erde und Wasser, Himmel und Wolken wider. Die Elemente und die Farben – das Schauspiel der Natur –werden bildnerisch umgesetzt. So auch die Farbfeste aus grau, grün, rosa und violett am nächtlichen Himmel und das Nordlicht als überwältigendes Ereignis.
Die Kunst, heißt es bei Paul Klee, gebe nicht das Sichtbare wieder, sondern mache sichtbar. Trudy Wiebus´ Kunst ist eine Auseinandersetzung mit der erlebten nordischen Natur, die uns, den Betrachtern, die Augen öffnet und uns zu „Sehenden“ macht.
Lucie Fæste, Oslo 2010/2017